Ratlosigkeit

Ein aufgelöster Anruf meiner Freundin Betti schon am Morgen. Dauerhafte Streitereien mit ihrem Ex, die zermürben – und das schon seit zwei Jahren. Brief von seiner Anwältin mit Klage, die sich jedoch nicht halten wird, da es für alles stichfeste Beweise gibt. Wir treffen uns auf einen Kaffee bevor sie zu ihrem Anwalt fährt. Als sie geht, wirkt sie zwar gefasster, aber trotzdem noch unstet. Nach dem Termin in der Kanzlei ruft sie kurz an und teilt mir mit, dass die Klageschrift am Montag bearbeitet werden wird. Gegen Abend ruft sie erneut an, erreicht mich erst einmal nicht. Versucht es später noch mal; sie ist völlig „durch den Wind“ und erzählt mir neue Hiobsbotschaften. Ihr Exmann versuchte über ihre Freunde herauszubekommen wo sie sich aufhält bzw. was sie macht. (An dieser Stelle kurz: Er hat bereits eine neue Partnerin, mit der er Betti schon während der Ehe betrogen hatte und die auch mit ihm die Wohnung seinerzeit ausgeräumt hatte. Es ist also unbegreiflich, was er mit seinem Tun bezwecken will.) Eine ihrer Freundinnen hatte ihn da bereits über einen längeren Zeitraum mit Informationen versorgt. Somit war ihr nun klar, warum er immer bestens über ihre Unternehmungen Bescheid wusste. Die Freundschaft zu dieser angeblichen Freundin hat sie umgehend beendet. Es macht sie inzwischen ziemlich fertig, dass sie so langsam nicht mehr weiß, wem sie überhaupt noch trauen kann. Denn es war nicht die erste Person, die gegen sie intrigiert hatte. Ein Leben in Rückzug kann doch nicht die Lösung sein!

Meinen Abend hatte ich bei einer anderen Freundin verbracht und bin in der Nacht nach Hause gefahren, als das Telefon erneut klingelte. Betti… Sie wirkte sehr niedergeschlagen, war völlig am Ende. Sie wisse nicht, wie lange sie das noch durchhalte, sagte sie mir am Telefon. Und dass sie schlichtweg nicht mehr könne. Sie habe Abschiedsbriefe geschrieben. Ich solle dafür sorgen, dass jeder einzelne Abschiedsbrief bei seinem Empfänger ankommt. Sie würde diese Briefe in ihrem Auto hinterlegen. Sie könne nicht sagen, ob sie das Wochenende überleben würde.

Mein Hirn ratterte. Was tun? Kann ich sie beruhigen?

Zu diesem Zeitpunkt war sie auf dem Weg zu einer Veranstaltung, um sich abzulenken.  Als sie dort ankam beendeten wir das Gespräch. Ich rief direkt einen gemeinsamen Freund an, von dem ich wusste, dass er diese Veranstaltung ebenfalls besuchte. Ich erreichte ihn jedoch nicht.

Zu Hause angekommen hatte ich noch einige Mails zu beantworten und war also noch beschäftigt. Um Mitternacht klingelte das Telefon erneut und Betti teilte mir mit, dass sie es auf der Veranstaltung nicht ausgehalten habe und auf dem Heimweg sei. Wir telefonierten bis sie zu Hause war. Sie war völlig am Ende und wollte auch direkt schlafen. Für heute war es wohl überstanden. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen bräuchte.

Aber was ist generell das „richtige“ Verhalten? Ich weiß, dass ich die Polizei anrufen könnte um den Verdacht auf Selbstmord anzuzeigen. Sie würde direkt in die Psychiatrie eingewiesen werden. Und glaubt mir, ich würde es tun, wenn ich tatsächlich das Gefühl hätte, dass Gefahr im Verzug ist.

©UMW


9 Gedanken zu “Ratlosigkeit

    1. Wenn jemand in dieser Situation ist, macht er sich keine Gedanken darüber, was er mit dieser Aussage auslöst. Der Gedanke sich selbst einweisen zu lassen ist bei ihr schon da. Als Freundin ist man einfach für den anderen da und wir werden das durchstehen.
      Vor gut zwei Jahren hatte ich einen Bekannten, der Suizid androhte. Da hatte ich Telefonate mit der Polizei, weil er zu dem Zeitpunkt in Ägypten war. Die Polizei hatte ihn direkt vom Flughafen abgeholt. Bis dahin hatte sich der Bekannte schon beruhigt und es gab Entwarnung.
      Schönes Wochenende wünsche ich!
      Herzliche Grüße von Ulrike

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    1. Es ist sicher eine Art stalking. Manche Dinge lassen sich nicht nachweisen. Es kann sogar sein, dass Mobiltelefon und/oder der PC gehackt werden. An ihrem Auto hatte sie einen Peilsender, den sie in der Werkstatt abgenommen hatten. Leider. Denn hätte die Polizei das gemacht, wäre der Prozess sicher ein anderer.
      Danke für dein Mitgefühl!
      Schönes Wochenende dennoch und sonnige Grüße
      von Ulrike

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  1. Es ist immer leicht zu sagen:
    Das ist moralische Erpressung. Ein wirklich verzweifelter Mensch fragt nicht danach, er ruft einfach nur nach Hilfe und klammert sich verzweifelt an jedem Strohhalm fest.
    Es ist sehr schön wie du für deine Freundin da bist, es ist richtig, dass du ratlos bist und dass es auch richtig, dass du unbedingt auf dich acht gibst.
    Deine Freundin gehört in fachliche Betreuung, ihr Problem gehört ernst genommen. Es gibt einen sozial-psychiatrischen Dienst in jeder Stadt.
    bei einem akuten Suizid Verdacht ist es ganz wichtig, dass sie von irgendwo her halt bekommt und das ist besser wenn das Fachleute tun…
    Es muss Anzeige erstattet werden bei der Polizei wegen Stalking. Das ist mittlerweile strafbar und auch verfolgbar. Schauma hier: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.urteil-im-stuttgarter-stalking-prozess-stalker-wandert-hinter-gitter.819e21bf-a47a-490f-9ce4-1b765e6961c8.html

    Mach deiner Freundin Mut. Wenn es dir nicht zu viel wird, dann begleite sie zur Polizei. Das sind Dinge, die du tun könntest, wenn du das willst. Sag ihr, wie viel Angst dir ihre Drohungen machen, wie sehr Dich das auch unter Druck setzt und belastet. Du bist keine Therapeutin. Du bist eine Freundin. Das ist ein gewaltiger unterschied.
    Pass auf dich auf.
    Liebe Grüße…und alles alles Gute für Deine Freundin. Sie befindet sich in einer schlimmen Situation.
    Vielleicht wäre sie bereit zu einem Besuch beim sozialpsychiatrischen Dienst wenn sie jemand begleitet, den sie kennt?…Gedanken und Ideen…und… Wirklich niemand wird einfach so mal eben schnell eingewiesen und aus dem Verkehr gezogen.

    Das auch noch

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    1. Danke liebe Fee für deine lieben Worte. Ja, das ist alles bekannt. Und ich habe soeben auch mit ihr telefoniert. Beruhigend das… Gegen Mittag werde ich rüber fahren und mal sehen, wie weiter vor gegangen wird.
      Alles Liebe und ein schönes Wochenende!
      Herzlichst Ulrike

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    2. Ich habe beim Lesen genau das gedacht, was Karfunkelfee dann in klaren Worten ausgedrückt hat. Du kannst ihr wohl am besten helfen, wenn Du für sie da bist, Dich aber unbedingt abgrenzt und Dich nicht in den „Strudel“ hineinziehen lässt. Und Deine Freundin ermutigst, sich professionelle Hilfe zu suchen. Der gemeinsame Besuch bei der Polizei ist wahrscheinlich auch hilfreich.

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  2. Du bist eine tolle Freundin. Zu so einem Suizid gehört schon sehr viel Verzweiflung. Ein Mensch, der sich umbringen will in letzter Konsequenz, tut es einfach. Die sich in Briefen verabschieden, schreiben und hinterlegen diese und tun dann.
    Doch wer noch in der Lage ist und die Kraft hat um Hilfe zu rufen, der will meiner Meinung nach leben…und ja, das finde ich auch beruhigend.

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