Der Besuch

s6302604Es war stockdunkle Nacht als Chili mitten in der Nacht erwachte. Sie hatte das Gefühl, dass ein Licht brannte. In ihrem Zimmer. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen. Tatsächlich, da flackerte ein Licht. Das Licht kam von einer Kerze in einer Laterne. Wer benutzte noch so eine altmodische Laterne? dachte sie noch, als sie eine uralte Frau zu ihren Füßen entdeckte. Man konnte die Alte nicht wirklich erkennen. Es war zu dunkel und sie hatte ein langes dunkles Kopftuch auf. Der Rock, den sie trug, war mit vielen bunten Flicken repariert worden und es sah nach mehreren Schichten aus. Das Weiblein hatte ein freundliches Gesicht und lächelte mit einem zahnlosen Mund. An ihrer Seite saß ein zotteliger grauhaariger Wolf. Seine Zunge hing ihm zwischen den gefährlichen Zähnen heraus.

Was war das? Chili blinzelte. Träumte sie? Sie zwickte sich selbst und schüttelte dann den Kopf. Das gab es doch nicht. Ein Wolf und eine alte Frau in ihrem Zimmer. Wo waren die denn her gekommen? Fragend sah sie die Alte an. Diese nickte nur und der Kopf schaukelte auf ihrem Hals hin und her. „Mach dir keine Gedanken, alles hat seine Richtigkeit.“ sagte sie.

In dem Moment wurde Chili bewusst, dass ihr die Alte laufend bunte Nägel in die Füße hämmerte. Spüren konnte sie es nicht, aber sie sah das farbige Metall aufblitzen. Die junge Frau zuckte zurück und sah ärgerlich auf. „Was soll das?“ fragte sie. „Lass Mädchen. Bleib ruhig,“ erwiderte die Alte. „Es ist wichtig für dich. Sie geben dir auf deinem Weg Beständigkeit und Durchhaltevermögen. Du wirst schon bald deiner Bestimmung folgen und dabei helfen sie dir.“ Damit war alles gesagt. Es wurde kein weiteres Wort gesprochen.

Irgendwann war Chili weg gedämmert. Ihr Unterbewusstsein bekam noch mit, wie der Wolf ihr über die Fußsohlen leckte bevor dieser mit der Alten wieder verschwand.

Am nächsten Tag sah sich Chili ihre Fußsohlen an, konnte jedoch keine sichtbare Veränderung feststellen. Hatte sie das nur geträumt? Missmutig schüttelte sie ihren Kopf. Musste sie langsam an ihrem Verstand zweifeln?

Nachdenklich fuhr sie ins Büro, erledigte ihre täglichen Aufgaben und versuchte nach der Arbeit noch etwas Entspannung im Wald zu finden. Aber heute kam sie nicht wirklich zur Ruhe.

Zur gewohnten Zeit ging sie erschöpft schlafen. Erneut wurde sie von Lichtergeflacker geweckt. Die Alte saß wie in der Nacht zuvor bei ihren Füßen und schlug weitere Nägel ein. Mit einem Kopfnicken grüßte sie freundlich, sprach aber nichts. Schon nach wenigen Minuten stand sie auf, der Wolf leckte über ihre Fußsohlen und beide verließen das Zimmer.

Das Ganze wiederholte sich an drei mal drei Tagen. In dieser Zeit gewann Chili ungeahnte Stärke, Willen und Wissen.  Sie spürte, dass etwas in ihr gärte. Nach drei mal sieben Tagen schien es abgeschlossen zu sein. Ihre Unruhe legte sich. Nun stellte sie sich die Frage: Für was sollte das von Nutzen gewesen sein?

So vergingen die Tage, Wochen und Monate. Und langsam vergaß Chili diese nächtlichen Besuche.

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In der Tiefe…

Wieder einmal stand sie an dieser Schwelle. Sollte sie es dieses Mal wagen? Die Stufen gingen steil nach unten. Und es sah gespenstisch dunkel aus. Das bisschen Licht, was da flackerte, ließ nur Schemen erahnen.

Chili trug lediglich ein weißes langes Hemd. Kurz überlegte sie, ob sie eine Strickjacke mitnehmen solle, aber die Luft die ihr entgegen blies war angenehm lau. Während sie noch überlegte, ob sie diese Schwelle übertreten solle, wurde der Sog nach unten zu gehen sehr stark. Schon fast penetrant. Diese Überlegung war ihr nun abgenommen worden. Sie setzte einen Schritt vor den anderen. Folgte den Stufen nach unten. Hohe Stufen. Es kostete sie Kraft, das Gleichgewicht zu halten. Sie zählte die Stufen beim Abstieg mit. Nach der dreißigsten Stufe kam ein kleiner Absatz, auf dem sie kurz verweilte. Sie atmete tief durch. Der Abstieg war anstrengend. Die Luft war frisch und klar, obwohl es in die Tiefe ging. Ihr war etwas warm geworden. Sie strich ihre langen Locken aus dem Gesicht und leckte die Schweißperlen von der Oberlippe. Vielleicht hätte sie Wasser mitnehmen sollen.

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Von dem Plateau gingen zwei Eingänge weg, die jedoch sofort wieder endeten. Die Stufen, die sie jetzt zu gehen hatte, waren etwas weniger hoch, aber es wurde steiler. Chili tastete die Seitenwände ab und fand ein Stahlseil, an dem sie sich festhalten konnte. Die Wände fühlten sich wie Fels an und waren feucht. Wo war sie hier eigentlich? Was wollte sie hier? Oder besser: Was sollte sie hier?

Der Boden unter ihren Füßen war glatt, aber griffig. Sie tastete sich barfuss vorwärts. Mit jedem Schritt in die Tiefe überkam sie immer mehr Ruhe. Die Stille hatte etwas Heimeliges. Weit entfernt konnte sie eine Melodie spielen hören.

Plötzlich hörten die Stufen auf und Chili stand auf einem Felsplateau. Das Plateau war ein Überhang, der gut 200 Meter lang und 50 Meter breit war. Vorsichtig trat Chili nach Vorne und blickte nach unten. Ein Stück ging es noch nach unten, das Ende jedoch war nur schwer zu erahnen. Ein glitzern konnte sie sehen. Ein Licht?

Die Ruhe hüllte sie ein, wie in eine wattige Umarmung. Es war still, bis auf diese leise Melodie in der Ferne. Die Entfernung schien sich nicht verändert zu haben, da es weder lauter noch leiser geworden war. Merkwürdig.

Die junge Frau sah sich um und suchte nach den Stufen, die sie weiter nach unten führen sollten. Es gab keine. Erschöpft setzte sie sich an den Fels, lehnte sich an und schloss die Augen.

Durch die Anstrengung war sie gut erhitzt und durch ihr dünnes Hemd fühlte sie die Kühle des Felsens. Anfangs fühlte es sich gut an, dann wurde es fast eisig. Erschrocken riss sie die Augen auf. Alles war dunkel. Der Schein, der sie die ganze Zeit begleitet hatte war verschwunden. Sie fror. Ihr war eiskalt und sie war unbeweglich. Was war los? Ein höhnisches Gelächter war um sie herum. „Du bist jetzt mein!“ sagte diese Stimme, die von überall her zu kommen schien. Ihr Blut schien gefroren zu sein und ihr Herz schlug einen sehr langsamen Rhythmus. Fast schon tot.

Ganz leise wisperte eine andere Stimme in ihr: „Höre auf die Melodie. Das ist dein Leben“. Diese Melodie, der Gedanke an die Melodie war so schwammig. So schwer zu erinnern. „Du musst!“ wisperte die Stimme. „Du musst!“ Mit Gewalt klammerte sich Chili an diese so ferne Erinnerung, an diese Melodie. Langsam war die Melodie wieder fühlbar. Es war ein feines Band. Durch ihren Willen wurde es stärker und die Melodie besser hörbar. Sie konnte ihren Herzschlag wieder wahrnehmen. Noch abgehackt, aber es wurde stabiler und vor allem wärmer. So langsam konnte sie sich wieder bewegen.

Als sie die Augen aufschlug war die Umgebung eine andere. Sie war unten angekommen. An einem See. Es glitzerte. Das war wohl das Licht gewesen, welches sie vom Plateau aus gesehen hatte.

Chili stand unter Schmerzen auf. Sie sah an sich herunter. Das Kleid hing in Fetzen herab und ihre Haut hatte grobe Abschürfungen. Welchen Kampf hatte sie da ausgefochten?

Ihr Lebenswille hatte gesiegt. Zum Sterben war es noch zu früh.

Die Frau zog das, was vom Kleid übrig war aus und ging auf das Wasser zu. Das Wasser war angenehm warm. Sie begrüßte diesen sanften Schmerz, der durch das Wasser ihre Wunden reinigte. Dann überlies sie sich dem See. Auf dem Rücken liegend wurde sie von der Strömung aufgenommen und trieb auf das Licht zu. Sanft wurde sie vom Mondlicht begrüßt. Es war Vollmond.

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Der Baum

Sie wohnte an der Zufahrt zur Siedlung, am Berg. Ländlich. Auf der einen Seite des Berges war die Kleinstadt. Die Wohnstatt lag in Richtung des Dorfes, umgeben von Grün, auf der anderen Bergseite. Sehr idyllisch. Ihre Freundin wohnte oberhalb der Siedlung, direkt neben dem Wald. Über Lichtzeichen hielten sie Kontakt, wenn ein Treffen wieder einmal nicht klappte. Chili musste nach ihrer Arbeit noch immer am elterlichen Hof mitarbeiten. So blieb ihr nur wenig Zeit ihre Freundin Barb zu treffen und beschränkte sich auf das Wochenende.

Chili und Barb trafen sich meist Samstagabend in einer Bar in der Stadt. Zusammen mit anderen Freunden wurde geratscht, gelästert und auch Unternehmungen ausgemacht.

Im Frühjahr gab es für Chili immer besonders viel zu tun. Darunter gehörte es Körbe für die sommerlichen Märkte zu flechten. Die Körbe dienten zum Teil dazu die eigenen Produkte zu transportieren, zum anderen Teil wurden sie am Markt verkauft. Chilis Körbe waren weit bekannt und beliebt, weil sie sehr besonders waren. Die junge Frau hatte eine eigene Flechtart, die es sonst nirgends gab. Die Zweige dafür holte sie selbst aus dem Wald, von einer Lichtung zu der sonst niemand ging. Verziert waren die Körbe mit Perlen, Lederschnüren oder Metallplättchen. Sie war da sehr kreativ, denn sie liebte diese Arbeit mehr als alles andere. Davon leben konnte sie jedoch nicht und lernte deshalb noch „etwas Handfestes“, wie es ihr Vater nannte. Buchhaltung konnte nicht schaden, war nur absolut langweilig, obwohl es Chili leicht von der Hand ging. Flechtware wurde nicht mehr so gebraucht. Das war längst schon von Plastik abgelöst worden.

Die junge Frau war gerne im Wald. Streifte da auch einfach einmal nur so herum und hörte den Vögeln zu und beobachtete die Wolken, wenn sie sich auf die Lichtung legte. Das hatte etwas so entspannendes. Dabei vergaß sie häufig die Zeit und kam erst nach dem Essen zu Hause an. Inzwischen blieb das Donnerwetter zwar aus, aber mit einem dummen Spruch durfte sie noch immer rechnen. Daran störte sie sich jedoch nicht.

Chili hatte einen ganz besonderen Bezug zum Wald. Wobei sich dieses Gefühl hauptsächlich auf ihre Lichtung belief. Manchmal meinte sie den Wald an dieser Stelle atmen zu hören. Das Holz knarrte lauter als sonst und hin und wieder fühlte sie etwas. Sie konnte es nur nicht benennen. Es war etwas da, meinte sie. Fühlbar. Sehen konnte sie nichts. Hin und wieder umarmte sie einen der Bäume, wenn sie das Bedürfnis dazu hatte oder sie das Gefühl hatte, ein Baum lockte sie.

Heute war wieder so ein Tag, an dem sie den Rückzug dringend brauchte. In der Arbeit hatte sie sich geärgert, weil etwas nicht lief wie sie es sich gewünscht hatte und zu Hause war der Vater wieder extrem garstig gewesen.

Es dämmerte schon, als sie förmlich in den Wald floh. Vielleicht konnte sie ja auch verwertbare Zweige für ihre Körbe finden. Erst einmal kam sie außer Atem auf ihrer Lichtung an. Atmete fürs erste tief ein und aus und ließ sich dann an einen Baum mit einer starken Borke sinken. Es war ihr, als wenn der Baum sie auffinge und eher weich wäre. Weich?! Irgendetwas stimmte nicht. Da fühlte sie, wie sie von Zweigen umfangen wurde. Es war wie eine Umarmung, genauso sanft. In ihrem Rücken flüsterte eine knarzige dunkle warme Stimme: „Fürchte dich nicht. Im Zwielicht, der Zwischenzeit, werden wir lebendig. Ich fühle, dass du meine Stärke brauchst. Lass dich fallen.“ Chili fühlte sich aufgehoben. So ein Gefühl hatte sie noch bei nichts und niemand gehabt. Sie lies sich fallen und verschmolz immer mehr mit dem Baum bis sie mit ihm eins war. Unvorstellbar! Die Kraft und Energie des Baumes pulsierte durch sie hindurch und erfüllte sie. Das Zeitgefühl verschwand und sie atmete mit und durch den Baum. Nach einer unbestimmten Zeit entließ sie der Baum mit einem sanften Ruck. Inzwischen war es Morgen geworden. Ungläubig sah sie die Morgendämmerung heraufziehen, sie drehte sich noch einmal zu dem Baum um. Dieser war inzwischen wieder ein Baum, wie jeder andere, und umarmte ihn abschließend. Chili war als wenn sie ein ganz besonderes Bündnis mit diesem Baum eingegangen wäre.

Erfüllt von einer ganz besonderen Kraft, einer ungeahnten Erdung, lief sie mit einem Lächeln nach Hause.

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Der Weg zur Quelle

Räucherwerk (640x488)Es ist schon eine Weile her, dass CHU’MANA Zeit fand sich an der Quelle einzufinden. Der vergangene Winter hatte sie sehr viel Kraft gekostet.

Erst sind einige Stammesmitglieder bei der großen Kälte gestorben und dann wütete auch noch dieses Feuer! Niemand wusste, wie es überhaupt ausbrechen konnte. Man vermutete zwar Brandstiftung, einen Verdächtigen hatte man jedoch nicht.

Von den achtzehn ansässigen Familien standen auf einmal sechs Familien ohne Häuser da. Glücklicherweise gab es nur materiellen Schaden und der ließ sich bei dem guten Zusammenhalt dann doch recht schnell ersetzen.

Nach der Schneeschmelze zog das Volk wieder auf die Lichtung am Hochplateau. Für ein halbes Jahr sollte das wieder ihre Heimat sein. Die nahen Höhlen dienten als Lagerraum und im angrenzenden See fand man Nahrung. Inzwischen hatten sich alle häuslich niedergelassen und CHU’MANA begab sich auf Kräutersuche. Viel gab es noch nicht, aber zumindest ein paar Wurzeln und Blütenstengel sollten sich finden lassen. Tatsächlich fand sie Sauerampfer, Giersch und Löwenzahn. Für den Anfang war sie damit zufrieden. Sie fühlte sich kraftlos und suchte sich einen hoch gewachsenen Baum, der mit seinem hellgrünen Blätterdach bereits etwas Schatten spendete. CHU’MANA lehnte sich erschöpft an den Stamm und schloss die Augen.

Sie hörte aus der Ferne die Trommeln im Dorf schlagen. Bum bum-bum. Bum bum-bum. Es beruhigte sie und sie folgte dem Klang, der sich in ihrem Körper ausbreitete. Die Heilerin wurde ruhig und entspannte sich.

Sie folgte dem Trommel-Klang in ihrem Körper und fand sich an einem bekannten Platz wieder, an dem sich ein Bergsee befand. Drei Wesen empfingen sie hier mit den Worten: „Schön, dass du uns wieder einmal besuchst. Die Zeit ist längst überfällig für dich.“ „Es tut mir leid, meine Lieben. Aber es war eine schwere Zeit“, erwiderte CHU’MANA. „Das wissen wir“, kam es im Dreiklang.

Die Kampfer-Deva, eine hochgewachsene schlanke Frau mit weiß-blonden Haaren war in einem durchscheinend-weißem Stoff gewandet. Sie umwaberte CHU’MANA mit ihrem frisch-minzigen Duft und half ihr beim entkleiden. Die Kleidung wurde von einem jungen Helfer abgenommen und zusammengefaltet unter einer jungen Birke abgelegt. Während dessen sog die junge Squaw den reinigend scharfen Geruch der Deva ein. Sie spürte, wie sich die negativen Schwingungen verzogen und ihr Geist klar wurde. Das Kampferwesen bat sie alles abzugeben, was sie in ihrem Tun behinderte und klärte es. „Wundervoll“ atmete CHU’MANA dankbar auf. Die Kampfer-Deva umarmte sie abschließend und gab sie an die Salbei-Deva weiter.

Die Deva des weißen Salbeis empfing die Heilerin mit einem Lächeln. Dieses Wesen war ebenso groß gewachsen wie die Kampfer-Deva, hatte jedoch eine kräftigere und muskulösere Statur mit sichtbaren Muskeln und Sehnen. „Du bist sehr kraftlos, Menschenkind“, wurde sie begrüßt. CHU’MANA nickte schuldbewusst. Ihre Poren nahmen den herb-frischen Geruch dieser Deva auf. Die Salbeidämpfe suchten den Weg durch jede Zelle im Körper und gaben Kraft. Die Squaw fühlte sich sofort voller Energie und angefüllt mit einem Elan, den sie an sich so sehr vermisst hatte. Sie dankte und ließ sich auch von diesem Wesen herzlich umarmen.

Als letztes Wesen empfing sie die Rosen-Deva. Dieser etwas rundliche Pflanzengeist hatte rötlich-braune Locken und trug ein rosafarbenes Seidengespinst. Fröhlich tanzend und singend begrüßte auch sie CHU’MANA. Der schwere Rosenduft legte sich wie eine Glocke über die junge Frau. Er gab ihr das Gefühl von Kreativität und Verbundenheit. Lächelnd stimmte CHU’MANA in den Gesang für mehr Leichtigkeit ein und dankte mit einem Nicken.

Die drei Pflanzengeister winkten abschließend und verloren ihre Körperlichkeit.

Der See in der Mitte des Platzes lockte glitzernd. Hier sollte CHU’MANA noch eintauchen um die Pflanzenkräfte zu versiegeln. Die Heilerin nahm Anlauf und sprang mit einem fröhlichen Lachen in den See. Sie schwamm ein paar kräftige Züge unter Wasser und tauchte am Uferrand wieder auf, strich die Haare nach hinten und entstieg dem Gewässer. Das Wasser perlte glitzernd von ihrem Körper ab.

Es war Zeit sich anzukleiden und sich auf den Weg zu machen. Die Trommeln riefen mit ihrem Bum bum-bum. Bum bum-bum. Mit leichtem Bedauern schlug CHU’MANA die Augen auf und räkelte sich kurz. Es war Zeit wieder ins Dorf zurück zu gehen. Sie nahm die gesammelten Kräuter auf und schritt kraftvoll in Richtung Ihres Stammes.

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Die Initiation

TrommelCHU’MANA (das Schlangenmädchen) stand am Waldrand und lauschte den Trommeln. Bum bum-bum, Bum bum-bum, lockten die Trommeln ins Dorf. Sie riefen zum Fest. Ihrem Fest? Das kann nicht sein. Bisher hatte sie noch nicht ihre Zustimmung gegeben. Hatten ihre Eltern wieder einmal über ihren Kopf hinweg entschieden?

Die junge Frau zählte inzwischen 21 Winter und sollte innerhalb des Stammes die wichtige Aufgabe als Medizinfrau übernehmen, da der Medizinmann schon sehr alt war und immer mehr leidend. Die Kräuterkunde war ihr von den Großeltern gelehrt worden. Ihr Großvater war der Medizinmann im Dorf und die Großmutter unterstützte ihn dabei.

Seit nun fünf Tagen war CHU’MANA unterwegs und sammelte Kräuter, meditierte und fastete. Auf diese Weise versuchte die Squaw ihre Gedanken zu ordnen und zur Ruhe zu kommen, um die richtige Entscheidung zu treffen. Sie wusste um die große Aufgabe und wollte sich dafür prüfen. Wie es nun aussah, hatte der Ältestenrat bereits entschieden. Nun gut, dann wird sie sich dem wohl fügen.

CHU’MANA folgte dem Trommelklang zum Dorf. Die letzten hundert Meter schlich sie sich an den hohen Palisadenzaun des Dorfes heran. Das ’sich sehr leise bewegen‘ konnte sie. Deshalb hatte sie vor vielen Jahren den Namen „Schlangenmädchen“ erhalten.

Der Klang der Trommeln war laut. Er war im Gleichklang mit ihrem Herzen und dröhnte durch ihren Körper. Sie fühlte sich eins mit dieser Musik.

Am Dorfplatz standen alle Männer und Frauen im Kreis. Sie waren bemalt. Die untere Gesichtshälfte war in einem schönen Kobaltblau. Darüber, bis zu den Augenbrauen, waren sie Blutrot bemalt. Jeder hatte eine Art Reisigbesen in der Hand und hüpfte zum Takt der Trommeln. Gleichzeitig wurde mit dem Reisigbesen etwas zur Mitte des Platzes gekehrt. Es war Mais! Das Maisfest hatte begonnen und sie hatte es doch tatsächlich verdrängt.

Just in diesem Moment wurde sie vom Häuptling entdeckt. Er wurde von CHUMANI (Tautropfen), seiner Frau und Mutter von CHU’MANA begleitet. „Wo bleibst du Tochter?“ wurde sie von beiden gefragt und ins Tipi bugsiert. „Mit dem Start des Maisfests wirst du heute für deine große Aufgabe geweiht. Bist du vorbereitet?!“ CHU’MANA nickte. Während sie unterwegs war hatte sie sich im Hinblick auf die Weihe gereinigt und die Vorkehrungen dafür getroffen. Auch wenn sie die Entscheidung noch nicht treffen wollte, war ihr die Größe ihrer Pflicht immer bewusst gewesen.

Im Zelt warteten bereits die Großeltern mit einigen Frauen auf sie. Die Kräuter wurden ihr abgenommen und in eine Truhe im hinteren Bereich des Tipis verwahrt. Die Frauen sollten die junge Frau nach den Anweisungen der Großmutter für die Zeremonie bemalen und schmücken. CHU’MANA stand nackt da und wurde von Kopf bis zu den Füßen mit Kalk Weiß bemalt, einschließlich der langen schwarzen Haare. Mit einer Erdmischung wurden Arme und Oberschenkel mit verschiedenen Zeichen versehen, die die Kraft für die neue Aufgabe verstärken sollten. Federn von einem Adler schmückten ihren Kopf und eine Rote Spirale verlief um ihren Bauchnabel und lief zwischen ihren kleinen Brüsten aus. Während der Vorbereitung wurde CHU’MANA ganz ruhig, die Unruhe fiel von ihr ab. Ja! Jetzt war sie bereit. Abschließend wurde ihr ein, mit roten Federn, geschmückter Reisigbesen in die Hand gedrückt und sie durch den Ausgang nach draußen geschoben.

Die Trommeln schlugen nun einen anderen Takt, unterbrochen von Rasseln, die aus der Klapperschlange und hohlen Kürbissen gefertigt waren. Die Frauen des Stammes trillerten in einer Lautstärke, die durch Mark und Bein gingen. Der Medizinmann hatte einen Trank vorbereitet und brachte davon eine größere Kalebasse für CHU’MANA. Sie nahm einen großen Schluck und reichte ihn an den Medizinmann zurück. Auch er trank und reichte die Kalebasse an den Häuptling weiter. Der Rest des Trankes wurde Mutter Erde übergeben, in dem ein großer Kreis um CHU’MANA gezogen wurde. Der zusammen gekehrte Mais lag in der Mitte des Kreises und die Squaw standen darauf. Der Medizinmann rief die vier Elemente an, malte Zeichen in die Himmelsrichtungen und sprach die rituellen Sätze, die CHU’MANA nachsprach. Nachdem diese Worte gesprochen waren lief ein Zucken durch das Schlangenmädchen und sie sackte auf dem Mais zusammen. Sie atmete heftig, wand sich schlangengleich. Der Trank zeigte seine Wirkung. Die Zeremonie war damit beendet.

Die Stimmen der trillernden Frauen verstummten und die Trommeln schlugen wieder ihr Bum bum-bum, Bum bum-bum im Herz-Rhythmus. Nach etwa fünfzehn Minuten erhob sich CHU’MANA und dankte den Göttern.

Jetzt konnte das Fest richtig beginnen. Die nächsten sieben Tage wurde mit Mais und Gemüse in allen Variationen gefeiert.

 

(Nachwort: Diese Erzählung entstammt einer meiner schamanischen Reisen. Verschiedene Indianervölker feiern tatsächlich ein Maisfest. Wie es jedoch genau abläuft ist mir unbekannt.)

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