Der Glockenturm

Es war einer dieser besonderen Frühlingsstürme. Der Wind brauste über das Land und nahm mit, was nicht festgehalten wurde. Die Blätter vom letzten Herbst wurden aufgewirbelt. Selbst körnigen Sand trieb es durch die engen Strassen. Die bunten Röcke einer jungen Frau bauschten sich um ihre Beine während sie sich den Hügel zur Kirche hinauf kämpfte. Sie war die einzige, die bei dem stürmischen Wetter auf der Strasse war. Alle anderen saßen in ihren Häusern bei Kaffee, Tee und Kuchen.

Sarah strich sie die widerspenstige Strähne aus ihrem Gesicht. Zwecklos, denn der Wind riss an dem fest geflochtenen Zopf und zog die Frisur auseinander. In einer Hausnische versuchte Sarah die Haare wieder zu ordnen und zog den Schal etwas fester über die Haare.

Heute ging es ihrer Großmutter gar nicht gut, deshalb wollte Sarah in die Kirche. Vielleicht half es, wenn sie eine Kerze anzündete. Die letzten beiden Male hatte es geholfen. Die Frau glaubte ganz fest daran und wollte nichts unversucht lassen.

Noch weitere zehn Minuten hatte sie dem Wind getrotzt und war endlich am Kirchenportal angekommen. Sie betrat das Gotteshaus über einen Seiteneingang. Auf einen Schlag war es still. Das Jaulen des Windes war nur leicht hörbar. Sarah ging durch den dunklen Raum zu der Mariennische, in der sie immer wieder eine Kerze im Notfall oder zum Dank anzündete. Nach einem kurzen Gebet entzündete sie die Kerze, dankte und machte sich wieder auf dem Weg.

Neben dem Ausgang war eine kleine Pforte einen Spalt weit geöffnet. Sarah drückte dagegen und sah eine steile Wendeltreppe, die nach oben führte. An der Mauer entlang schwang ein dünnes Seil. Da fiel ihr ein, dass hier der Aufgang zum Glockenturm war. Schon immer wollte sie einmal nach oben und wenn nun die Türe schon einmal offen war, wollte sie dieser Versuchung gerne nachgeben. Die Treppe war sehr schmal und die Treppenabsätze hoch. Sie erklomm eine Stufe nach der anderen. Den ersten Absatz hatte sie geschafft. Stark atmend ruhte sie kurz um dann weiter nach oben zu steigen. Je höher sie stieg desto heftiger konnte sie den Wind hören.

Es klang richtig schaurig. Am nächsten Treppenabsatz flackerte das Licht mehrmals auf bevor es dann verlosch. Auf einen Schlag war es dunkel. Sarah konnte nichts erkennen. Erst einmal. Kurz überlegte sie wieder abzusteigen, aber sie spürte, dass sie doch schon bald oben angekommen sein sollte. Schemenhaft konnte sie die Treppen sehen. Deshalb gab sie sich einen Ruck und ging weiter. Im nächsten Moment flogen zwei aufgeschreckte Tauben auf. Sarah schlug ihre Arme über ihren Kopf zusammen und spürte einen Flügelschlag. Ihr blieb das Herz fast stehen. Erschrocken tastete sie sich weiter.

Jetzt war sie so weit gekommen, dann wollte sie nicht mehr aufgeben. Mit jeder Stufe wurde das Heulen des Windes lauter. Nach weiteren acht Stufen hatte sie das Plateau endlich erreicht. Sie konnte kaum aufrecht stehen und durch die Kraft des Sturmes wurde sie an die Mauer gepresst. Angstvoll suchte sie Halt und setzte sich auf den nächsten Sims. Drei große Glocken hingen hier in den Mauern. Vorsichtig spähte sie nach unten. Eine heftige Windböe drückte sie an die Wand. Kein schönes Gefühl, dachte sie sich und bewegte sich angstvoll gen Abgang.

20180314_120328

Vorsichtig tastete sie sich nach unten und war froh als sie den beleuchteten Treppenabsatz wieder erreicht hatte. Zügig ging sie nach unten. Heilfroh, dass sie diesen Ausflug unbeschadet überstanden hatte, verließ sie die Kirche. Als sie den Hügel überwunden hatte ging ihr Blick noch einmal nach oben zum Glockenturm. Sie meinte da oben eine schwarze Gestalt zu sehen…

©UMW

Wehmut

Zwei Tage habe ich nun in meiner Geburtsstadt verbracht und hatte eine wunderbare Zeit mit lieben Menschen.

Wenn ich in den vergangenen Jahren Zeit in meiner Heimat verbracht hatte, dann lediglich nur im Kreise der Familie oder meiner Freundin aus Kinder- und Jugendtagen. Für ausgedehnte Stadtbummel fehlte jeweils die Zeit. Es hat sich seit meinem Wegzug vor 25 Jahren sehr viel getan. Das Stadtbild hat sich verändert. Viele Strassen sind Einbahnstrassen geworden und die Zufahrt in den Stadtkern ist nur noch bedingt möglich.

Mit meiner Tochter entdeckte ich AMBERG in der Oberpfalz neu. Schon seit jeher gibt es hier ca. 42.000 Einwohner. Also, alles sehr überschaubar und wenn man nicht an einzelnen Plätzen zu lange verweilt kommt man mit zwei Stunden ganz gut durch.

IMG-20160831-WA0096

Das Auto parkten wir am Kurfürstenbad und liefen unter der Hauptstrasse durch das Wahrzeichen, der Stadtbrille, ins Stadtzentrum. Dabei kamen wir am kurfürstlichen Schloss vorbei und besuchten den Rosengarten im Landratsamt.

20160831_093208Auf der Vils ist es möglich eine Plättenfahrt zu machen; allerdings nur am Wochenende. Mit den Plätten wurde früher Handelswaren gefahren. Durch den Salz- und Eisenhandel hatte Amberg im Mittelalter seinen Reichtum erhalten.

Direkt an der Vils ist die St. Martinskirche gebaut. Der Turm steht auf Holzpfählen (wie in Venedig) direkt im Wasser. Zurzeit ist der Turm wegen Renovierungsarbeiten verhüllt.

Mitten am Marktplatz, Photo Shader Imageneben dem Rathaus, kann man den Hochzeitsbrunnen bewundern. Den gibt es erst seit 2000 und war mir bisher auch noch nicht aufgefallen. Er zeigt das Brautpaar Margarete von Bayern-Landshut und Philipp von der Pfalz, die sich im Jahr 1474 vermählt haben. Die beiden sind von zwei Narren flankiert. Welche Bedeutung der Brunnen nun hat, hat sich mir leider nicht erschlossen. Aber ich hab mir den Spaß gemacht und bin barfuß darin herumgeplanscht.

Wenn wir schon bei Hochzeit sind, dann möchte ich doch direkt das Eh’Häusl erwähnen. In der Historie entstand dieses Haus aufgrund der Vorschrift, dass heiratswillige Paare einen Nachweis über einen Grundbesitz erbringen mussten. Der Stadtrat verlangte dies auch noch im 18. Jahrhundert. Deshalb bebaute ein findiger Kaufmann in dieser Zeit eine 2,5 m breite Lücke zwischen zwei Häusern in der Seminargasse, zog vorne und hinten eine Mauer hoch und setzte ein Dach darauf. Heiratswillige kauften dieses Haus und verkauften es nach der Eheschließung wieder. Der Volksmund vergab deshalb den Namen Eh’Häusl. Heute ist es ein Luxus-Etablissement und das kleinste Hotel der Welt.

Bei meinem Rundgang durch die Stadt zog es mich wieder zum Walfischhaus. 20160831_100430Dieses schwarz gestrichene Gebäude hatte mich schon immer fasziniert. Es hat seine Bezeichnung von zwei Figuren unterhalb des Giebels, die darstellen, wie der Prophet Jona von einem Walfisch zunächst verschlungen und dann wieder ausgespuckt wird. Die Figuren stammen aus dem 17. Jahrhundert. Derzeit ist dieses Haus verhüllt, so dass ich kein vernünftiges Foto machen konnte. Aber eine Figur konnte ich dann dennoch fotografieren und möchte ich hier nicht vorenthalten.

20160831_101039

Über die Vils verlaufen einige Brücken, so dass man ganz gut von einer auf die andere Seite des Flusses laufen kann.

20160831_100904

Unser ehemaliges Kino, das Park-Theater, wird derzeit zu einer Osteria umgebaut. Ein modernes Kino ist an anderer Stelle entstanden.20160831_101501

Im Stadttheater habe ich als zwanzigjährige meine erste Oper – La Traviata – gesehen und somit die klassische Musik zu lieben gelernt.

Bei der Runde durch die Stadt sind mir viele leerstehende Geschäfte aufgefallen. Im Zentrum wird es einsam. Das macht wehmütig. Erinnere ich mich doch an einige Läden, die ich in jungen Jahren mit Freundinnen durchstöbert habe und immer fündig geworden war. Aber das war vor der Zeit des Internets.

Habe ich nicht vorher schon das Heiraten angesprochen?

In der Bergkirche finden wohl die meisten Hochzeiten statt. Getraut wird man hier dann von Franziskanermönchen. Ich bevorzuge jedoch den Franziskaner in der Flasche – bevorzugt dunkel…. 😉

20160831_111403

Auf dem Berg, im Wald, fand ich für mich immer eine friedliche Oase. Deshalb sind wir auch hier spazieren gegangen und haben uns die Stadt nochmals von oben angeschaut.

Vom hölzernen Fliegenpilz aus, der inzwischen auch von Liebenden mit Schlössern geschmückt wird, hat man einen schönen Rundblick.

Unsere Runde schlossen wir in der Bergwirtschaft, bei Apfelstrudel mit Walnusseis und einem Cappuccino, ab.

Mir ist klar, dass ich mir noch einmal einiges ansehen möchte, deshalb plane ich einen baldigen Besuch und werde mir dafür dann etwas mehr Zeit nehmen. Meine Freundin freut sich schon jetzt auf mich / uns. Ihre Gastfreundschaft nehme ich gerne an.

©UMW