Der Weg zur Quelle

Räucherwerk (640x488)Es ist schon eine Weile her, dass CHU’MANA Zeit fand sich an der Quelle einzufinden. Der vergangene Winter hatte sie sehr viel Kraft gekostet.

Erst sind einige Stammesmitglieder bei der großen Kälte gestorben und dann wütete auch noch dieses Feuer! Niemand wusste, wie es überhaupt ausbrechen konnte. Man vermutete zwar Brandstiftung, einen Verdächtigen hatte man jedoch nicht.

Von den achtzehn ansässigen Familien standen auf einmal sechs Familien ohne Häuser da. Glücklicherweise gab es nur materiellen Schaden und der ließ sich bei dem guten Zusammenhalt dann doch recht schnell ersetzen.

Nach der Schneeschmelze zog das Volk wieder auf die Lichtung am Hochplateau. Für ein halbes Jahr sollte das wieder ihre Heimat sein. Die nahen Höhlen dienten als Lagerraum und im angrenzenden See fand man Nahrung. Inzwischen hatten sich alle häuslich niedergelassen und CHU’MANA begab sich auf Kräutersuche. Viel gab es noch nicht, aber zumindest ein paar Wurzeln und Blütenstengel sollten sich finden lassen. Tatsächlich fand sie Sauerampfer, Giersch und Löwenzahn. Für den Anfang war sie damit zufrieden. Sie fühlte sich kraftlos und suchte sich einen hoch gewachsenen Baum, der mit seinem hellgrünen Blätterdach bereits etwas Schatten spendete. CHU’MANA lehnte sich erschöpft an den Stamm und schloss die Augen.

Sie hörte aus der Ferne die Trommeln im Dorf schlagen. Bum bum-bum. Bum bum-bum. Es beruhigte sie und sie folgte dem Klang, der sich in ihrem Körper ausbreitete. Die Heilerin wurde ruhig und entspannte sich.

Sie folgte dem Trommel-Klang in ihrem Körper und fand sich an einem bekannten Platz wieder, an dem sich ein Bergsee befand. Drei Wesen empfingen sie hier mit den Worten: „Schön, dass du uns wieder einmal besuchst. Die Zeit ist längst überfällig für dich.“ „Es tut mir leid, meine Lieben. Aber es war eine schwere Zeit“, erwiderte CHU’MANA. „Das wissen wir“, kam es im Dreiklang.

Die Kampfer-Deva, eine hochgewachsene schlanke Frau mit weiß-blonden Haaren war in einem durchscheinend-weißem Stoff gewandet. Sie umwaberte CHU’MANA mit ihrem frisch-minzigen Duft und half ihr beim entkleiden. Die Kleidung wurde von einem jungen Helfer abgenommen und zusammengefaltet unter einer jungen Birke abgelegt. Während dessen sog die junge Squaw den reinigend scharfen Geruch der Deva ein. Sie spürte, wie sich die negativen Schwingungen verzogen und ihr Geist klar wurde. Das Kampferwesen bat sie alles abzugeben, was sie in ihrem Tun behinderte und klärte es. „Wundervoll“ atmete CHU’MANA dankbar auf. Die Kampfer-Deva umarmte sie abschließend und gab sie an die Salbei-Deva weiter.

Die Deva des weißen Salbeis empfing die Heilerin mit einem Lächeln. Dieses Wesen war ebenso groß gewachsen wie die Kampfer-Deva, hatte jedoch eine kräftigere und muskulösere Statur mit sichtbaren Muskeln und Sehnen. „Du bist sehr kraftlos, Menschenkind“, wurde sie begrüßt. CHU’MANA nickte schuldbewusst. Ihre Poren nahmen den herb-frischen Geruch dieser Deva auf. Die Salbeidämpfe suchten den Weg durch jede Zelle im Körper und gaben Kraft. Die Squaw fühlte sich sofort voller Energie und angefüllt mit einem Elan, den sie an sich so sehr vermisst hatte. Sie dankte und ließ sich auch von diesem Wesen herzlich umarmen.

Als letztes Wesen empfing sie die Rosen-Deva. Dieser etwas rundliche Pflanzengeist hatte rötlich-braune Locken und trug ein rosafarbenes Seidengespinst. Fröhlich tanzend und singend begrüßte auch sie CHU’MANA. Der schwere Rosenduft legte sich wie eine Glocke über die junge Frau. Er gab ihr das Gefühl von Kreativität und Verbundenheit. Lächelnd stimmte CHU’MANA in den Gesang für mehr Leichtigkeit ein und dankte mit einem Nicken.

Die drei Pflanzengeister winkten abschließend und verloren ihre Körperlichkeit.

Der See in der Mitte des Platzes lockte glitzernd. Hier sollte CHU’MANA noch eintauchen um die Pflanzenkräfte zu versiegeln. Die Heilerin nahm Anlauf und sprang mit einem fröhlichen Lachen in den See. Sie schwamm ein paar kräftige Züge unter Wasser und tauchte am Uferrand wieder auf, strich die Haare nach hinten und entstieg dem Gewässer. Das Wasser perlte glitzernd von ihrem Körper ab.

Es war Zeit sich anzukleiden und sich auf den Weg zu machen. Die Trommeln riefen mit ihrem Bum bum-bum. Bum bum-bum. Mit leichtem Bedauern schlug CHU’MANA die Augen auf und räkelte sich kurz. Es war Zeit wieder ins Dorf zurück zu gehen. Sie nahm die gesammelten Kräuter auf und schritt kraftvoll in Richtung Ihres Stammes.

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Die Initiation

TrommelCHU’MANA (das Schlangenmädchen) stand am Waldrand und lauschte den Trommeln. Bum bum-bum, Bum bum-bum, lockten die Trommeln ins Dorf. Sie riefen zum Fest. Ihrem Fest? Das kann nicht sein. Bisher hatte sie noch nicht ihre Zustimmung gegeben. Hatten ihre Eltern wieder einmal über ihren Kopf hinweg entschieden?

Die junge Frau zählte inzwischen 21 Winter und sollte innerhalb des Stammes die wichtige Aufgabe als Medizinfrau übernehmen, da der Medizinmann schon sehr alt war und immer mehr leidend. Die Kräuterkunde war ihr von den Großeltern gelehrt worden. Ihr Großvater war der Medizinmann im Dorf und die Großmutter unterstützte ihn dabei.

Seit nun fünf Tagen war CHU’MANA unterwegs und sammelte Kräuter, meditierte und fastete. Auf diese Weise versuchte die Squaw ihre Gedanken zu ordnen und zur Ruhe zu kommen, um die richtige Entscheidung zu treffen. Sie wusste um die große Aufgabe und wollte sich dafür prüfen. Wie es nun aussah, hatte der Ältestenrat bereits entschieden. Nun gut, dann wird sie sich dem wohl fügen.

CHU’MANA folgte dem Trommelklang zum Dorf. Die letzten hundert Meter schlich sie sich an den hohen Palisadenzaun des Dorfes heran. Das ’sich sehr leise bewegen‘ konnte sie. Deshalb hatte sie vor vielen Jahren den Namen „Schlangenmädchen“ erhalten.

Der Klang der Trommeln war laut. Er war im Gleichklang mit ihrem Herzen und dröhnte durch ihren Körper. Sie fühlte sich eins mit dieser Musik.

Am Dorfplatz standen alle Männer und Frauen im Kreis. Sie waren bemalt. Die untere Gesichtshälfte war in einem schönen Kobaltblau. Darüber, bis zu den Augenbrauen, waren sie Blutrot bemalt. Jeder hatte eine Art Reisigbesen in der Hand und hüpfte zum Takt der Trommeln. Gleichzeitig wurde mit dem Reisigbesen etwas zur Mitte des Platzes gekehrt. Es war Mais! Das Maisfest hatte begonnen und sie hatte es doch tatsächlich verdrängt.

Just in diesem Moment wurde sie vom Häuptling entdeckt. Er wurde von CHUMANI (Tautropfen), seiner Frau und Mutter von CHU’MANA begleitet. „Wo bleibst du Tochter?“ wurde sie von beiden gefragt und ins Tipi bugsiert. „Mit dem Start des Maisfests wirst du heute für deine große Aufgabe geweiht. Bist du vorbereitet?!“ CHU’MANA nickte. Während sie unterwegs war hatte sie sich im Hinblick auf die Weihe gereinigt und die Vorkehrungen dafür getroffen. Auch wenn sie die Entscheidung noch nicht treffen wollte, war ihr die Größe ihrer Pflicht immer bewusst gewesen.

Im Zelt warteten bereits die Großeltern mit einigen Frauen auf sie. Die Kräuter wurden ihr abgenommen und in eine Truhe im hinteren Bereich des Tipis verwahrt. Die Frauen sollten die junge Frau nach den Anweisungen der Großmutter für die Zeremonie bemalen und schmücken. CHU’MANA stand nackt da und wurde von Kopf bis zu den Füßen mit Kalk Weiß bemalt, einschließlich der langen schwarzen Haare. Mit einer Erdmischung wurden Arme und Oberschenkel mit verschiedenen Zeichen versehen, die die Kraft für die neue Aufgabe verstärken sollten. Federn von einem Adler schmückten ihren Kopf und eine Rote Spirale verlief um ihren Bauchnabel und lief zwischen ihren kleinen Brüsten aus. Während der Vorbereitung wurde CHU’MANA ganz ruhig, die Unruhe fiel von ihr ab. Ja! Jetzt war sie bereit. Abschließend wurde ihr ein, mit roten Federn, geschmückter Reisigbesen in die Hand gedrückt und sie durch den Ausgang nach draußen geschoben.

Die Trommeln schlugen nun einen anderen Takt, unterbrochen von Rasseln, die aus der Klapperschlange und hohlen Kürbissen gefertigt waren. Die Frauen des Stammes trillerten in einer Lautstärke, die durch Mark und Bein gingen. Der Medizinmann hatte einen Trank vorbereitet und brachte davon eine größere Kalebasse für CHU’MANA. Sie nahm einen großen Schluck und reichte ihn an den Medizinmann zurück. Auch er trank und reichte die Kalebasse an den Häuptling weiter. Der Rest des Trankes wurde Mutter Erde übergeben, in dem ein großer Kreis um CHU’MANA gezogen wurde. Der zusammen gekehrte Mais lag in der Mitte des Kreises und die Squaw standen darauf. Der Medizinmann rief die vier Elemente an, malte Zeichen in die Himmelsrichtungen und sprach die rituellen Sätze, die CHU’MANA nachsprach. Nachdem diese Worte gesprochen waren lief ein Zucken durch das Schlangenmädchen und sie sackte auf dem Mais zusammen. Sie atmete heftig, wand sich schlangengleich. Der Trank zeigte seine Wirkung. Die Zeremonie war damit beendet.

Die Stimmen der trillernden Frauen verstummten und die Trommeln schlugen wieder ihr Bum bum-bum, Bum bum-bum im Herz-Rhythmus. Nach etwa fünfzehn Minuten erhob sich CHU’MANA und dankte den Göttern.

Jetzt konnte das Fest richtig beginnen. Die nächsten sieben Tage wurde mit Mais und Gemüse in allen Variationen gefeiert.

 

(Nachwort: Diese Erzählung entstammt einer meiner schamanischen Reisen. Verschiedene Indianervölker feiern tatsächlich ein Maisfest. Wie es jedoch genau abläuft ist mir unbekannt.)

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